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Kein Buch für schwache Nerven: Noch nie wurde das Leben der legendären Navy-SEALS so genau beschrieben wie hier.

14. Dezember 2017 / 08:34 Uhr

Ein Navy-SEAL packt aus: Wie die härteste Truppe der Welt lebt, operiert – und bin Laden tötete

Um militärische Eliteeinheiten ranken sich schon seit der Prätorianergarde der römischen Caesaren Legenden. Viele junge Männer wollen bis heute dazugehören, doch nur wenige haben das Zeug dazu. Eine dieser sagenumwobenen Spezialeinheiten – viele sagen, es sind die Härtesten der Harten – sind die SEALS der US Navy. Viel war der Öffentlichkeit bis jetzt nicht über diese Super-Kämpfer bekannt, von den meisten ihrer Einsätze wissen selbst innerhalb der Navy nur wenige Offiziere.

Von Werner Grotte

Das hat sich nun geändert: Einer der höchstdekorierten SEALS, Robert “Rob” O’Neill, der Mann, der bei einer Kommandoaktion im Mai 2011 den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden erschoss, hat ausgepackt und sein Leben aufgeschrieben. Und das geht in vielerlei Hinsicht unter die Haut.

Ein typischer Bursch aus dem amerikanischen Mittelwesten

Der heute 41-Jährige ist in einer typischen Kleinstadt im amerikanischen Mittelwesten (Butte, Montana) in einer bürgerlichen Familie aufgewachsen, ohne jeglichen Bezug zur Marine. Die Eltern lassen sich früh scheiden. Der Vater bringt ihm Schießen bei, mit zwölf erlegt er seinen ersten Hirsch und ist begeistert. Mit 18 wird ihm vom Vater ein Bekannter vorgestellt, der ein Navy-SEAL ist, und mit ihm einen Geländemarsch macht. Rob ist schwer beeindruckt von der Ausstrahlung und Kondition des Mannes. Nach seinem Highschool-Abschluss 1995 beschließt er, nicht aufs College zu gehen, sondern zur Navy. Um ein SEAL zu werden. Keiner nimmt den körperlich nicht besonders kräftigen jungen Mann ernst, keiner traut ihm das zu.

“Basic Underwater Demolition” – die härteste Ausbildung der Welt

Nach seiner Freiwilligenmeldung wir er gemeinsam mit 500 anderen zur berüchtigten BUD/S-Grundausbildung (“Basic Underwater Demolition/SEALS”) in Virginia-Beach (US-Bundesstaat Virginia) an der Ostküste abkommandiert, der 28 unendliche Wochen dauern wird. Schon der Aufnahmetest erfordert gute Kondition: 20 Bahnen (500 Meter) Schwimmen, zehn Minuten Pause, 42 Liegestütze, zwei Minuten Pause, 50 Sit-ups, zwei Minuten Pause, acht Klimmzüge, zehn Minuten Pause, 2,5 Kilometer laufen in elfeinhalb Minuten – mit Stiefeln.

Höllenwoche” und Ertrinken-Spielen

Doch dieser Auftakt entpuppt sich als kleines Aufwärmtraining, verglichen mit dem, was Rob in den kommenden sieben Monaten erwartet. Besonders gefürchtet ist die sogenannte “Höllenwoche” im Navy-Trainingszentrum Coronado in Kalifornien, wo die Rekruten sieben Tage so gut wie nicht zum Schlafen kommen, fast permanent in der Gruppe ein Schlauchboot über den Köpfen mit sich herumschleppen müssen, bis ihnen die Haare ausgehen, und mit diesen Booten die irrwitzigsten Landemanöver in berstender Brandung auf glitschigen Felsen durchführen. In diese Woche geben besonders viele junge Soldaten auf.

Der größte Feind – der gemeine Ausbildner

Die größten Feinde der Rekruten sind die Ausbilder, alles knochenharte Alt-SEALS, denen keine Gemeinheit zu gemein erscheint, um sie den Jungsoldaten nicht anzutun. Diese werden etwa an Händen und Beinen gefesselt ins Wasser geschmissen und müssen sich irgendwie an den Beckenrand retten. Oder sie bekommen eine Tauchausrüstung und werden auf Tauchgang geschickt, merken aber erst unter Wasser, dass die Luftschläuche zum Atmen porös sind. So wird ein permanentes Ertrinkungs-Gefühl erzeugt.

Wer essen will, muss drei Kilometer laufen

Wer es nicht schafft, mit diesem Gefühl weiter zu tauchen, der ist draußen und muss “die Glocke läuten” (das entwürdigende Ritual all jener, die aufgeben – und jeder soll es hören). Selbst das Essen ist anstrengend, beträgt doch der Weg zur Kantine 1,5 Kilometer (hin) und genauso lang wieder zurück, natürlich im Laufschritt. Und das bei jeder Mahlzeit. Essen gibt es reichlich, doch nur wenig Zeit, es auch zu verzehren.

80 Prozent geben auf

Am Ende der BUD/S-Ausbildung, zu der auch viel Theorie, Spreng- und Schießausbildung und ein abschließendes Acht-Kilometer-Freischwimmen auf offenem Meer gehört, sind von den ursprünglichen 500 SEAL-Rekruten nur noch knapp 100 übrig. Ein echter SEAL ist man damit aber noch lange nicht, denn jetzt kommen erst die Spezial-Ausbildungen, etwa Fallschirmspringen mit sogenannten High-Altitude-Sprüngen aus bis zu 9.000 Metern Höhe – und nicht zuletzt die Scharfschützen-Ausbildung zum Sniper.

Nachts töten, tagsüber Schlaftabletten

Die Navy investiert also viel Zeit und Geld in ihre neuen Spitzensoldaten – und die müssen irgendwann eine Gegenleistung erbringen. Und zwar im Ausland, in der Regel auf Kriegsschauplätzen, bei Entführungen, auf der Jagd nach Terroristen oder Attentätern, hinter der Front, meist nachts. Dazu fliegen sie mit ihrem individuell stets fertig gepacktem Einsatzgepäck innerhalb kürzester Zeit von den USA über Deutschland in den Nahen Osten oder nach Afrika. Damit sie dort ausgeruht ankommen, werden Schlaftabletten verteilt, um die langen Flüge in den unbequemen C-130 Hercules-Transportern sinnvoll zu nutzen. Aber auch sonst ist die Schlaftablette (ganz offiziell) ein guter Freund der SEALS, da diese oft zu eher ungewöhnlichen Zeiten schlafen und zu ebenso ungewöhnlichen Zeiten “arbeiten” sein müssen.

Einsatz gegen somalische Piraten

Einer dieser Einsätze führte Rob und sein Team etwa in den indischen Ozean vor Somalia, wo Piraten ein amerikanisches Handelsschiff überfallen und den Kapitän entführt hatten. Sie forderten Lösegeld und drohten damit, ihn bei Nichtbezahlung an radikale Islamisten zu verkaufen. Da die Verhandlungen ins Stocken geraten waren, holte man die SEALS. Die drei Somalier und der Kapitän saßen in einem überdachten Rettungsboot und ließen sich mit allem nötigen versorgen. An sie heranzukommen war quasi unmöglich, weil sobald man einen abknallte, erschossen die anderen den Kapitän.

Meisterstück der Scharfschützen

Die einzige Lösung waren drei Scharfschützen, die die Kunststoff-Bullaugen des Bootes mit Engelsgeduld beobachteten und in jenem Sekundenbruchteil, in dem alle drei Entführer zu sehen waren, gleichzeitig abdrückten. Klingt wie aus einem James-Bond-Film – aber genau so machten die SEALS nach wenigen Stunden mit den Piraten kurzen Prozess. Es gelang ihnen wirklich, alles drei gleichzeitig auszuknipsen. Das Team und vor allem die Schützen wurden in der Presse hochgelobt – eine Seltenheit für die SEALS, die sonst die Öffentlichkeit scheuen.

Barack Obama genehmigt die Tötung bin Ladens

Der Einsatz gegen das mit bis zu sechs Meter hohen Mauern geschützte Anwesen, in dem eine US-Agentin Osama bin Laden, den damals meistgesuchten Terroristen der Welt, ausgemacht hatte, wurde dermaßen geheim geplant, dass selbst die ausführenden SEALS nicht wussten, wohin und wozu es ging. Nur eine Handvoll Offiziere, Agenten und Strategen hatten den Plan entwickelt – genehmigt und freigegeben von Präsident Barack Obama.

Einsatz hinter der Grenze Pakistans

Das größte Problem dabei war, dass sich besagtes Anwesen tief in Pakistan befand, wo sich seit dem Vorrücken der Amerikaner in Afghanistan die meisten Terroristen zurückgezogen hatten, um von ihren Basen jenseits der Grenze ihre Attacken zu fahren und sich danach wieder in Pakistan zu verstecken. Offiziell durften nicht einmal die SEALS in dieses Land hinein, da es sich nicht nur um eine Atom-Macht, sondern auch um Verbündete der USA handelte (was die Pakistani nicht daran hindert, mit den Terroristen gute Geschäfte oder sogar gemeinsame Sache zu machen).

Unsichtbar und unhörbar mit “Transformer”-Hubscrhaubern

Für den Einsatz wurden daher zwei streng geheime und extrem teure Tarnkappen-Hubschrauber, eine Modifikation des AH-66 “Comanche”, eingesetzt, mit denen man unsicht- und (fast) unhörbar bis ans Ziel gelangen konnte – natürlich nachts, wie immer. Ein Hubschrauber sollte SEALS vor dem Tor der Festung absetzen, während das zweite Team vom anderen Hubschrauber direkt ins Haupthaus abgeseilt werden sollte. Um das zu üben, hatte man den Gebäudekomplex sogar in den USA nachgebaut.

Notlandung mitten in Bin Ladens Festung

Leider nicht hundertprozentig authentisch, was sich am Tag der Wahrheit als fast tödlich erweisen sollte: Beim Übungs-Nachbau hatte man nämlich einen sechs Meter hohen (und damit luftdurchlässigen) Zaun verwendet, das echte Hindernis war aber eine massive Mauer. Und diese sorgte für den zweiten Hubschrauber, der die SEALS abseilen sollte, für unerwartet starke Luftturbulenzen, sodass der erfahrene Navy-Pilot nur noch notlanden konnte, um nicht abzustürzen – mitten hinein in bin Ladens Festung.

Gesprengtes Tor entpuppt sich als Attrappe

Auch draußen hatte man sich verspekuliert – das vermeintliche Tor, das man in üblicher SEAL-Manier ferngezündet gesprengt hatte, entpuppte sich als Attrappe. Dahinter lag eine Betonmauer. Aber genau in solchen Situationen macht sich die exzellente Ausbildung bezahlt, die ihre Absolventen auf wirklich jede Eventualität vorbereitet.

Kampf inmitten von Frauen und Kindern

Die SEALS schafften es trotzdem ins Haus, denn dank ihrer Nachtsichtgeräte sahen sie etwas, die Gegner hingegen nicht. Das Problem war hier wie auch in den meisten anderen Terroristen-Unterkünften das gleiche: Die Al-Kaida-Kämpfer (genauso wie Taliban- oder IS-Truppen) haben meist ihre Familie bei und um sich, das heißt in der Regel mehrere Frauen und zahlreiche Kinder. Das macht die Lage selbst für einen SEAL unangenehm. Wer erschießt schon gerne Frauen und Kinder?

Der letzte Fehler von bin Ladens Sohn

In bin Ladens Haus gab es mehrere Geschosse, und man musste ständig davon ausgehen, in irgendeine Sprengfalle und/oder einen Hinterhalt zu tappen. So arbeiteten sich die SEALS vorsichtig Richtung Obergeschoss und schalteten einen Terroristen nach dem anderen aus. Bin Ladens ältesten Sohn, der das Stiegenhaus hinauf in den Oberstock, wo sein Vater residierte, mit einer Kalaschnikow absicherte, neutralisierte man mit einer List: Da er nicht wusste, wer wirklich im Haus war, besann sich einer der SEALS auf seine Arabisch-Kenntnisse und rief ihn in seiner Sprache und mit seinem Namen an. Der Mann war verwirrt und steckte seinen Kopf kurz hinter dem Stiegengeländer hervor – das war das letzte, was er in seinem Leben tat. Peng.

Bin Ladens Pech: Er war zu groß

Als man endlich im obersten Stock angelangt war, fand man in einem Raum schließlich Scheich Osama bin Laden, eine seiner vier Frauen stellte sich schützend vor ihn. Doch bin Laden war 1,94 Meter groß, die Frau eineinhalb Köpfe kleiner. Weil die anderen durch diverse Pannen unten aufgehalten worden waren bzw. sichern mussten, war Rob O’Neill – entgegen dem ursprünglichen Einsatzplan – derjenige, der zusammen mit einem Kameraden in Osamas Zimmer eindrang – und dem Al-Kaida-Chef sofort mit zwei Schüssen den Schädel spaltete.

Auf der Flucht vor der pakistanischen Luftwaffe

Doch der gefährliche Auftrag war damit nicht vorbei. Der notgelandete 100-Millionen-Dollar-Hubschrauber musste gesprengt werden, was ordentlich rummste, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die pakistanische Armee samt Luftwaffe auftauchte. Doch die SEALS schafften es tatsächlich, mit nur einem Hubschrauber und der Leiche bin Ladens unbeschadet über die Grenze zurück nach Afghanistan zu gelangen. Eine Heldentat, fürwahr.

Weltberühmt, aber in den eigenen Reihen unbeliebt

Die SEALS, aber vor allem O Neill, wurden weltberühmt, er bekam dafür den Silver Star, einen Händedruck von Präsident Obama, eine tolle Presse und andere Auszeichnung – allein das Klima in der Einheit wurde für ihn immer unangenehmer, da man sich dort als eine SEAL-Familie sieht, in der keiner bevorzugt werden oder sich gar wichtigmachen sollte. Der Zenit war überschritten und nach mehr als 16 Jahren bei den SEALS mit mehr als 400 Kampfeinsätzen und mehr als 52 Auszeichnungen verlässt O’Neill – ehrenhaft – 2012 die Navy.

Politisch unkorrekt – aber sehr real

Ein spannendes Buch mit vielen bisher kaum bekannten Details zu einer der härtesten Kampfeinheiten der Welt – aber ohne verklärendes Helden-Pathos. Dazu mussten in den 16 Jahren zu viele gute Freunde und Kameraden O’Neills sterben. Selten offen auch seine politisch eher unkorrekten, aber offensichtlich sehr realen Beschreibungen des afghanischen Alltags. “Ein Ausflug ins Mittelalter”, ist O Neills Resümee. Und damit meint er nicht die mittelalterlichen Klöster Europas…

Robert O Neill. Der Operator.  Wie ich Osama bin Laden getötet habe. Mein Leben als Navy Seal Sniper. Das Buch ist bei der Buchhandlung Stöhr um 19,99 Euro erhältlich.

 

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