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USA

20. März 2011 / 08:44 Uhr

Der Irak – Zweistromland in Flammen

Irak FlaggeDie jüngere Geschichte des Kunststaates Irak ist mit viel Blut geschrieben worden. Verschiedenste Mächte wurden von den reichen Erdölvorkommen des Landes in den letzten hundert Jahren angelockt, irakische Despoten trugen ihren Teil zum Leid des Landes bei. Obwohl es inzwischen wieder eine eigene Regierung gibt, ist der Irak indirekt noch immer ein Protektorat der USA. Was nach dem für 2013 geplanten Abzug der US-Streitkräfte im Irak passieren wird, bietet großen Raum für Spekulationen.

Die Wiege der Schia liegt im Irak

Hussein-Moschee

Hussein-Moschee

Die Hussein-Moschee in Kerbala ist eine der heiligsten Stätten der Schiiten.
Foto: SFC Larry E. Johns / Wikimedia

Die Spaltung der islamischen Gemeinschaft “Umma” in Sunniten und Schiiten geht auf die frühe Phase des Islam nach Mohammeds Tod zurück. Da Mohammed keinen Nachfolger für das aufstrebende islamische Gemeinwesen bestimmt hatte, sorgte diese Frage für erhebliche Unruhe und Streitigkeiten in der jungen Gemeinde. Eine Minderheit der Umma sah nur den Schwiegersohn Mohammeds, Ali, und später dessen Nachfahren als legitime Nachfolger an, sie bildeten die Partei Alis (Schiat Ali), wovon sich der Name der Schiiten ableitet. Ali und nach ihm sein Sohn Hussein hatten ihre Machtbasis im südlichen Irak, wo sie beide von ihren Gegner getötet wurden. Kerbala und Nadschaf, die irakischen Städte, in denen ihre Begräbnismoscheen stehen, sind die heiligsten Stätten der Schiiten. Auf Hussein folgen bei der am weitesten verbreiteten 12er Schia noch 9 weitere Nachfahren, die zusammen mit Ali und seinen Söhnen Hassan und Hussein die Imame der Schiiten bilden. Der letzte Imam zog sich in die Entrückung zurück und wird als Mahdi (Erlöser) zurückerwartet, um eine gottgefällige Regierung über die Erde zu errichten. Im Iran ist der Mahdi das offizielle Staatsoberhaupt, der schiitische Klerus herrscht nur in dessen Stellvertretung. Vor allem strenggläubigen Sunniten gelten die Schiiten als Ketzer, weswegen sie bis heute in verschiedenen Staaten Verfolgungen ausgesetzt sind.

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Ausgehend von diesem religiösen Fundament und den historischen Erfahrungen als unterdrückte Minderheit haben sich bei den Schiiten verschiedene Eigenheiten entwickelt, die sie von anderen Muslimen unterscheiden. Neben Mohammed selbst sind die Imame und Fatima, die Frau Alis, Gegenstand höchster Verehrung und Nachahmung, wobei der Märtyrertod eine wichtige Rolle spielt. So kommt das Phänomen der Selbstmordattentäter ursprünglich von den Schiiten, das erste aufsehenerregende Selbstmordattentat der jüngsten Geschichte wurde von Anhängern der schiitischen Hisbollah 1982 mit einem Anschlag auf das Hauptquartier der US-Marines in Beirut begangen. Daneben spielt dier Erwartung der Endzeit mit der Rückkehr des Mahdi eine große Rolle bei den Schiiten. Im Gegensatz zur Sunna existiert bei den Schiiten hierarchisch gegliederte Geistlichkeit mit mehreren Großayatollahs an der Spitze, die inzwischen auch großen politischen Einfluss besitzen.

Der Irak – ein multiethnischer Kunststaat

Im Sykes-Picot Abkommen teilten Großbritannien und Frankreich die arabischen Besitzungen des feindlichen Osmanischen Reiches untereinander auf, wobei das Gebiet des heutigen Irak nach mehreren Verhandlungen 1920 den Briten als Mandatsgebiet zugeschlagen wurde. Mit den erdölreichen Gebieten um Kirkuk und Mossul im Norden und Basrah im Süden hatte das Empire damit den dicksten Brocken aus der osmanischen Erbmasse abbekommen, die Förderrechte wurden zu je 22,5 Prozent unter Großbritannien, Frankreich, den USA und den Niederlanden aufgeteilt; diese Regelung blieb bis 1959 bestehen. Bei der Aufteilung der Gebiete wurde auf ethnische oder religiöse Grenzen keine Rücksicht genommen, sodass im neuen Irak, ab 1922 Königreich unter britischem “Schutz“, sunnitische Kurden, sunnitische und schiitische Araber sowie turkmenische und assyrisch-christliche Minderheiten lebten. 1922 trennten die Briten Kuwait vom Irak ab und erschufen ein eigenes Emirat, das sie mit neutralen Zonen vom Irak und Saudi-Arabien abzuschirmen suchten. Unterschiedliche Mächte versuchen durch Unterstützung einzelner Bevölkerungsgruppen ihre Einfluss im Irak geltend zu machen, so unterstützt der Iran die Schiiten, Saudi-Arabien und Pakistan die Sunniten, die Türkei die verwandten Turkmenen, die USA stärken die Kurden.

Die irakischen Kurden – Spielball der Mächte

 

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Massoud Barzani, Gouverneur Kurdistans, mit US-Verteidigungsminister
Gates. Die Kurden sind die wichtigsten Verbündeten der Amerikaner im Irak.
Foto: U.S. Army / Wikimedia

Nach dem Ersten Weltkrieg war den Kurden von den Alliierten ein eigener Staat versprochen worden, dieses Versprechen wurde aber nie eingehalten, sodass die Kurden mit etwa 30 Millionen das größte Volk ohne Staat weltweit sind, 10 – 15 Millionen davon leben im Irak. Seit den 1960er Jahren befinden sich die Kurden im Irak im Aufstand gegen die Zentralregierung. Immer wieder wurden sie dabei zum Spielball der umliegenden Mächte, die sie je nach politischer Lage unterstützten oder wieder fallen ließen. Inbesondere der Iran und Syrien spielten ein doppeltes Spiel mit den Kurden und setzten sie als Druckmittel gegen das Regime in Bagdad ein. 1986 bis 1988 führte Saddam Hussein eine mörderische Kampagne gegen die Kurden durch, in deren Rahmen auch großflächig Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt wurde. Nach Errichtung einer Flugverbotszone 1993/94 zog sich die irakische Armee weitgehend aus den Kurdengebieten zurück, wo ein de facto eigenständiger Staat entstand. Inzwischen gelten die Kurden als wichtigster Verbündeter der US-Amerikaner im Land, ihr Gebiet im Norden blieb bisher ruhig. Die Bildung eines eigenen kurdischen Staates, der im heutigen Nordirak auch über große Erdölvorkommen verfügen würde, dürfte weiter Zukunftsmusik sein, da dies den Interessen aller umliegender Staaten widerspricht; ob die Kurden weiterhin auf die Unterstützung der USA nach deren Abzug bauen können, scheint angesichts des bisherigen Umgangs der US-Amerikaner mit nutzlos gewordenen Verbündeten äußerst fraglich.

Vom laizistischen zum islamischen Staat?

Irak Flagge

Irak Flagge

Die Fahne des Irak als Zeichen der Veränderung: Wo früher drei Sterne
waren, steht jetzt "Allau akbar" (Gott ist groß).

Vom Sturz des prowestlichen Königs 1958 bis zu Saddam Husseins Sturz 2003 wurden religiös-politische Bewegungen sowohl schiitischer als auch sunnitischer Ausrichtung unterdrückt und bekämpft. Das arabisch-nationalistisch ausgerichtete Regime der Baath Partei war streng laizistisch, was Osama bin Laden 1991 nach der irakischen Besetzung Kuwaits veranlasste, zum Heiligen Krieg gegen Saddam Hussein aufzurufen. Die Versuche der USA, eine Verbindung zwischen der irakischen Diktatur und bin Ladens Al Qaida zu konstruieren, erscheinen angesichts der Todfeindschaft dieser beiden Gruppen lächerlich. Während die politische Opposition brutal unterdrückt wurde, galt dies nicht für religiöse Minderheiten, die im Irak große Freiheiten genossen. Dies hat sich mit dem Einmarsch der US-Truppen radikal geändert. Insbesondere die assyrischen Christen des Irak, die zu Husseins Zeiten noch ca. acht Prozent der Bevölkerung stellten, sind unter großen Druck geraten, mehr als die Hälfte von ihnen hat das Land bereits verlassen. Die US-Invasion unter der Präsidentschaft eines fundamentalistischen Methodisten hat somit dazu geführt, dass eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt bald nicht mehr existent sein wird. Die Christen  im Irak sind ständigen Bedrohungen vor allem radikaler Sunniten ausgesetzt, die US-Besatzungstruppen bieten ihnen keinerlei Schutz dagegen. Vor allem in der Gemeinde der sunnitischen Araber hat die Invasion radikalen Islamisten erst das Tor zum Irak aufgestoßen, deren massive Präsenz vor zehn Jahren noch unmöglich gewesen wäre.

Al Sadr

Al Sadr

Der oppositionelle Ayatollah Mohammed Baqir als Sadr
wurde bereits 1980 im Irak ermordet.
Foto: So8ra6 / Wikimedia

Trotz der Radikalisierung und Militanz der Sunniten scheint die Zukunft der schiitischen Mehrheit zu gehören. Die Schia im Irak war bis ins neue Jahrtausend wesentlich weniger politisch geprägt als ihre Glaubensgenossen im Iran, sie hingen einer stärker mystischen Richtung an. Dies hat sich unter starkem Einfluss des Iran geändert. Politisch-schiitische Gruppen wie die Mahdi-Milizen des Muktada al-Sadr – er ist der Großneffe des einflussreichen, von Saddam Hussein ermordeten Ayatollahs Mohammed Baqir al-Sadr – sind auf dem Vormarsch und mit ihnen der Iran. Die großen Erdölvorkommen des Landes könnten damit mittelfristig unter den Einfluss Teherans gelangen, der schiitische Block würde damit zum größten Erdölproduzenten der Welt. Dsas sich eine zukünftige irakische Führung, wie auch immer sie aussehen mag, willfährig den Wünschen der USA beugt, ist nicht anzunehmen.

Ayatollah Khomeini schickte im iranisch-irakischen Krieg seine Soldaten mit der Losung “Der Weg nach Jerusalem führt über Bagdad” in die Schlacht. Dank ihrer unfreiwilligen Verbündeten in Washington steht dieser Weg für die Mullahs aus dem iranischen Schurkenstaat offen.

Unzensuriert-Serie über "Failed States"

Unzensuriert.at stellt wöchentlich einen gescheiterten Staat vor. Bisher veröffentlicht:

Somalia – Nummer eins unter den gescheiterten Staaten
Guinea – Mit dem Sozialismus in die Armut
Sudan – Abspaltung vom islamistischen Araber-Regime
Liberia und Sierra Leone – Heimat der Blutdiamanten
Kongo Das Herz der Finsternis
Simbabwe Staatsbankrott droht binnen Jahresfrist
Pakistan Atommacht vor dem Kollaps
Afhganistan Das gescheiterte Protektorat

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