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1. April 2012 / 11:15 Uhr

Anonymous blamiert sich und Journalisten

Gegen Mitternacht herrschte auf Twitter reger Betrieb. Twitter, das ist auf Österreich bezogen so eine Art betreute virtuelle Wohngemeinschaft für selbsternannte Linksintellektuelle mit hohem Mitteilungsdrang. Haushaltsvorstand ist ORF-Moderator Armin Wolf, ihm folgen alle bedingungslos. Kurz vor Mitternacht warteten viele der Zwitscherer auf die sensationellen Enthüllungen der Internet-Aktivistengruppe Anonymous, die behauptet hatte, in Besitz zahlreicher Politiker-E-Mails zu sein, welche die Republik erschüttern würden. Weil ab 1. April die von Anonymous heftig bekämpfte Vorratsdatenspeicherung in Kraft tritt, wollte man den Politikern mit der „Operation Pitdog“ eins auswischen.

Fotogalerie: Letztes Aufbäumen gegen die Vorratsdatenspeicherung

Fußi

Fußi

Rudolf Fußi will den anonymen Spaßvögeln ein Denkmal erreichten.
Foto: Screenshot Twitter

Die Erwartungshaltung war riesengroß. Der kürzlich aus der SPÖ ausgetretene Volksbegehrer Rudolf Fußi schlug sogar vor, Anonymous ein Denkmal zu erreichten, „ein blaues Pferderl, 5m hoch“. Mittendrin als einziger Politiker der Orange Stefan Petzner, der sich wohl besonders auf die Veröffentlichung von Mails aus der FPÖ freute. So wie auch die Österreich-Journalistin Isabelle Daniel, die am 25. März noch Richtung Anonymous getwittert hatte, FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky und Pressemann Martin Glier seien „und zwar wegen Euch ;-)““ etwas nervös.

Exklusiv in Österreich: Die E-Mails und ihre Folgen

Folglich war es auch die sensationshungrige Österreich-Schreiberin, die bereits gestern mit Details zu der Knallerstory aufwarten konnte. Um 18.40 Uhr kam die Presseaussendung aus der Österreich-Redaktion: „Wir haben 10.925 Politiker-E-Mails“. Dazu ein fettes Interview „über sichere Datenleitungen“ mit den anonymen Hackern, die vor allem eines kommen sahen: „Auch die FPÖ liefert im internen Nachrichtenverkehr genug Stoff, um deren sehr rechte Ausrichtung zu unterstreichen und hier werden die Behörden wohl auch wieder Ermittlungen im Bereich der Wiederbetätigung und Verhetzung aufzunehmen haben.“ Und bei SPÖ und ÖVP gebe es „eine Menge Indizien für Skandale“.

Kommentar: Trotz Anonymous gegen Vorratsdatenspeicherung

Die Anonymen hatten eine eigene Countdown-Seite eingerichtet, die sogar die Sekunden bis zur Veröffentlichung zählte. Doch punkt Mitternacht kam – nichts. Kurz darauf erklärte man, die eigenen Server würden von Regierungsservern angegriffen. Da kamen den ersten in der Twitter-Fangemeinde mächtige Zweifel, die entschlossenen Fans wie Rudi Fußi blieben aber bei der Stange und beschwerten sich in ähnlichem Ton wie weiland Kaiser Ferdinand (Ja, dürfen’s denn das?) über die Unverfrorenheit dieser Regierung. Stefan Bachleitner, Partner einer Wiener PR-Agentur, stieß dann auf des Rätsels Lösung: Pitdog bedeutet zu Deutsch Grubenhund. Und Grubenhund ist ein Ausdruck für eine besondere Form der Zeitungsente.

Österreich-Cover

Österreich-Cover

Der "Grubenhund" am Titelblatt: Österreich schwer blamiert.
Foto: Unzensuriert.at

Mit genau dieser Ente am Titelblatt fanden wir heute die Tageszeitung Österreich im Ständer vor – und investierten mit dem größten Vergnügen die ersten und vermutlich letzten 90 Cent in das Fellner’sche Medienprojekt. „Politik-Insiderin“ Isabelle Daniel, die neben übersteigerter Sensationslust nur noch die Abneigung gegenüber der FPÖ als „journalistische“ Triebfeder vorzuweisen hat, steht bis auf die Knochen blamiert da. Falter-Mann Florian Klenk kommentierte süffisant: „Ein schönes beispiel wie gefährlich ungeprüfter ,he said, she said journalismus' ist“ und stellte das Österreich-Cover dazu.

Zerknirschtes Eingeständnis eines Aprilscherzes

Am Ende musste auch Anonymous zugeben, dass es sich um eine etwas elaboriertere Form des Aprilscherzes gehandelt hatte. Das übliche zynische Grinsen war den Aktivisten dabei aber vergangen. Offenbar spürt man bereits, dass man damit jede Glaubwürdigkeit und auch den Fanklub unter den besonders unbedarften Journalisten verloren hat. In einer in der Nacht veröffentlichten Erklärung heißt es, überraschend selbstkritisch:

Sehr geehrte Bürger Österreichs,
wie ihr sicher bemerkt habt, sind seit knapp 3 Stunden keine leaks erschienen. Der Grund sind innere Differenzen in den eigenen Reihen von uns. Für diese möchten wir uns bei euch entschuldigen. Die Leaks waren komplett frei erfunden um die Media attention für die VDS so weit wie es geht hochzukurbeln. Dies war auch ein voller Erfolg. Einige von uns können nicht mehr hinnehmen, dass ihr weiter belogen werdet. Jeder hier hat ein Recht auf Wahrheit, Freiheit und Demokratie. Österreich hat _NICHT_ Die Anonymous server geddossed. Dies war alles eine Ausrede um euch weiter bei Laune zu halten, damit irgendeinem von den Iniatoren dieses Big Trolls eine Lösung einfällt. Es gab von Anfang an Stimmen, die gegen diese Aktion waren. Gegen die Lüge, welche sich an tausende Bürger, dessen Recht es ist die Wahrheit zu erfahren, richtet!!!

Wer aus der Medienmeute noch den Absprung schafft, der beeilt sich. Etwa Der Standard, der als eines der ersten Medien jede noch so hirnrissige Aktion unter dem Anonymous-Logo beklatscht hat. Heute merkt die Redaktion an:

Allerdings muss sich auch die österreichische Presselandschaft – und damit natürlich dieses Medium hier eingeschlossen – die Frage gefallen lassen, warum sich niemand den Codenamen der angekündigten Aktion genauer angesehen hat. Immerhin lässt sich "Pitdog" als"Grubenhund" übersetzen – und das ist nichts weniger als eine spezielle Form der Zeitungsente.

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