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Coronavirus

Leute zu Hause einzusperren, sei dumm. Und das Virus werde sich ausbreiten, egal was die Länder tun, sagt der anerkannte Epidemiologe Johan Giesecke.

1. Mai 2020 / 13:26 Uhr

Schwedischer Epidemiologe Giesecke: „Lockdown der Wirtschaft in Österreich war sinnlos“

Politiker würden die Pandemie nur nützen, um sich zu profilieren und setzen Maßnahmen um, die wissenschaftlich kaum belegt sein würden. Das sagt einer der renommiertesten schwedischen Epidemiologen, Johan Giesecke, in einem Addendum-Interview.

Nur Händewaschen und Distanz hilft

“Lockdowns” hält er für sinnlos, die Ausbreitung des Coronavirus einzuschränken, für hoffnungslos. Professor Giesecke berät nicht nur die schwedische Regierung, sondern auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bezüglich Schweden meint er, man habe sich früh entschieden, dass nur evidenzbasierte Maßnahmen anzuwenden seien.

Es gebe nur zwei Maßnahmen, die wirklich eine wissenschaftliche Grundlage hätten: Eine wäre, sich die Hände zu waschen. Dass das nützlich sei, wüssten wir seit der Arbeit von Ignaz Semmelweis vor 150 Jahren. Das andere sei “Social Distancing” (Abstand halten), da wäre auch bewiesen, dass es wirkt.

Dumm, wenn Menschen drinnen bleiben

Diese beiden Dinge wären die Grundlage der Politik der schwedischen Regierung. Dagegen hätten viele Maßnahmen, die von den Regierungen in Europa ergriffen wurden, keine wissenschaftliche Grundlage.

Grenzen zu schließen, sei zum Beispiel sinnlos und helfe nicht. Menschen kämen durch jede Grenze, mit Grenzschließungen könne man den Ausbruch nur um zwei oder drei Tage verschieben. Auch die Schließung von Schulen habe sich nie als wirksam erwiesen. Außerdem würde den Leuten gesagt, sie sollen drinnen bleiben. Das sei dumm, weil das Infektionsrisiko sehr viel geringer sei, wenn sie draußen seien. Und es gebe nur sehr mangelhafte Beweise dafür, dass Gesichtsmasken helfen würden.

Die Toten nur in die Zukunft verschoben

Der Journalist fragt Giesecke: “Die Zahl der Corona-Toten ist in Schweden pro 100.000 Menschen mehr als dreimal so hoch wie in Österreich. Und sie ist fast fünfmal so groß wie in Norwegen. Zeigt dies nicht, dass Schweden den falschen Weg eingeschlagen hat?” Darauf der Epidemiologe:

Nein, denn in Österreich werden jetzt wieder mehr Menschen sterben, wenn der Lockdown zu Ende geht. Mit dem Lockdown haben Sie die Toten nur in die Zukunft verschoben. Wir sollten in einem Jahr über die Zahl der Toten sprechen und Österreich und Schweden vergleichen. Dann wird die Zahl in etwa gleich hoch sein. Mit dem Unterschied, dass Schwedens Wirtschaft verhältnismäßig besser dastehen wird.

Coronavirus mit Influenza vergleichbar

Giesecke glaubt zudem, dass das Cornavirus mit der Influenza vergleichbar sei, mit der gleichen Sterblichkeit von etwa 0,1 oder 0,2 Prozent. Er sagt gegenüber addendum:

Wenn Influenza eine neue Krankheit wäre, sie noch niemand gehabt hätte und sie plötzlich in die Welt gekommen wäre, würde die Reaktion der meisten Länder genauso aussehen wie jene zum Coronavirus. Die Menschen realisieren nicht, wie viele jedes Jahr an der Influenza sterben. In Österreich sind es etwa 1.500 pro Jahr, und viele werden gar nicht gezählt. An die Influenza-Saison hat man sich gewöhnt. Das akzeptieren wir, und das finde ich interessant, denn das Problem der Influenza ist dem Coronavirus sehr ähnlich.

Polizei sagt nicht, dass Sie nach Hause gehen sollen

Giesecke verteidigt das schwedische Modell: Eine Hauptstütze des schwedischen Politik wäre immer, dass die Leute nicht dumm seien. Wenn man den Leuten sage, was für sie gut sei und wie sie sich selbst schützen können, wie sie andere schützen können, dann würden sie es normalerweise auch tun. Giesecke:

Wir haben keine Polizei auf der Straße, die Ihnen sagt, dass Sie nach Hause gehen müssen. Wenn Sie draußen jemanden treffen, müssen Sie sich hier nicht vor hohen Geldstrafen fürchten, das ist doch lächerlich. Aber wenn Sie an einem Samstagabend um 21 Uhr nach Stockholm kommen, sind die Straßen fast leer. Nicht weil es eine Ausgangssperre gibt, sondern weil die Leute drinnen bleiben. Sie bleiben bei ihrer Familie, sie isolieren sich selbst bis zu einem gewissen Grad. Viele Restaurants im Zentrum von Stockholm sind geöffnet, einige sind geschlossen. Aber nicht wegen eines Gesetzes, sondern weil sie keine Kunden haben. In Wirklichkeit ist der Unterschied zwischen den Ländern also nicht so groß.

Politiker wollen Stärke demonstrieren

Warum Politiker dann trotzdem anders handeln? Es gehe um Politik, sagt Giesecke. Politiker würden Handlungsfähigkeit, Entscheidungskraft und vor allem Stärke demonstrieren wollen:

Mein bestes Beispiel dafür ist, dass in asiatischen Ländern Gehsteige mit Chlorin besprüht werden. Das ist völlig nutzlos, aber es zeigt, dass die Behörden und der Staat etwas tun, und das ist für Politiker sehr wichtig.

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